Congo Calling

ein Filmreview für an Entwicklungsarbeit iInteressierte von Lea Hennemann (ehemalige ewe-Freiwillige in Masabuka)

Congo Calling ist ein Dokumentarfilm von Stephan Hilpert, der drei Europäer porträtiert, die in der ostkongolesischen Stadt Goma leben und arbeiten. Peter, der nach 30 Jahren Entwicklungszusammenarbeit in den Ruhestand versetzt wird, sucht nach Wegen trotz des knapper werdenden Geldes in Goma, das seine Heimat geworden ist, zu bleiben. Der junge Spanier Raúl forscht über Rebellengruppen im Ostkongo und hadert mit der Machtposition, die ihm allein durch seine Forschungsgelder und durch die Rolle als Arbeitgeber seiner einheimischen Freunde zufällt. Und Anne-Laure, die als Entwicklungshelferin nach Goma gekommen ist, diese Arbeit aber aufgegeben hat und nun Gomas größtes Musikfestival „Amani“ mitorganisiert, fragt sich, ob und wie ihre Beziehung mit ihrem kongolesischen Freund Fred langfristig in Goma funktionieren kann und ob sie die Kraft hat, dauerhaft fernab ihrer Heimat Belgien zu leben.

Congo Calling stellt somit nicht die Armut der Bevölkerung oder die Gewalt im Ostkongo in den Mittelpunkt, sondern schildert sehr intim die persönlichen Geschichten der drei Protagonisten, die alle auf ihre Weise eng mit Goma verbunden sind. Beeindruckt hat mich vor allem Raúl, der versucht, wertfrei zu beobachten und dabei auf Kategorien wie „richtig“ und „falsch“ zu verzichten. So lauscht er unvoreingenommen der Erzählung eines ehemaligen Rebellen, der ihm von dem Zauber seiner Mei-Mei-Tätowierung berichtet, und versucht, selbst als zwei seiner Mitarbeiter die ihnen anvertrauten Forschungsgelder veruntreuen, sie angesichts der Versuchung der „Säcke voll Geld“, die er „in einen Ozean aus Armut“ bringt, nicht zu verurteilen.

Als ehemalige Freiwillige des ewe hat der Film mich besonders bewegt. Das Leben in Goma, das in einer der ärmsten und unsichersten Regionen der Welt liegt, und in dem zwei Drittel der Bevölkerung Flüchtlinge sind, ist sicherlich nicht direkt mit dem Leben in Mazabuka, wo ich meinen Freiwilligendienstes 2014/15 verbracht habe, vergleichbar: Blauhelm-Soldaten patrouillieren die Straßen, die Dichte an Hilfsorganisationen und Entwicklungshelfern ist extrem hoch und Gewalt und Korruption sind stets präsent. Dennoch haben viele Szenen des Films bei mir Erinnerungen an meine Zeit in Mazabuka geweckt: Sei es der Airtel Shop an der Straßenecke, die Musik beim Amani Festival oder das inbrünstige Gehupe im Straßenverkehr. Und sie haben Fragen, die ich mir während meiner Zeit in Sambia oft gestellt habe, neu aufgeworfen: Welche Rolle hatte ich in den Augen der Einheimischen allein durch meine europäische Herkunft? Welche Hilfe können und sollten ausländische NGOs vor Ort langfristig leisten? Ist die Hilfe aus dem Norden sinnvoll oder verursacht sie nur weitere Abhängigkeiten?

Der Film zeigt Situationen, die ich ähnlich erlebt habe. So wird das Kamerateam auf der Straße von Straßenkindern umringt, die rufen: „Ich will, dass ihr uns ein Haus baut.“ „Wir wollen einen Pool und alles, um wie die Weißen zu sein.“ „Wir lieben Goma. Wir wollen wie die Weißen sein.“ Dass Kinder und auch Erwachsene häufig davon ausgehen, dass man als Weiße Geld und Reichtum besitzt, habe ich auch in Sambia erfahren. Und ganz Unrecht haben sie damit ja auch nicht. Selbst ich als Freiwillige hatte damals weit mehr zur Verfügung als viele andere. Und ich hatte immer die Sicherheit, im Notfall zur Bank gehen und Geld abheben zu können. Trotzdem hat mich das Bild als reiche Weiße irgendwann sehr gestört. Ich wollte als Person und nicht als Weiße wahrgenommen werden. Dass es nicht einfach ist, die unsichtbare Grenze zwischen Ausländern aus dem globalen Norden und Einheimischen zu durchbrechen, und dass dies im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit selten gelingt, wird auch im Film thematisiert. So erzählt Fred, dass Anne-Laure eine der wenigen Europäer in Goma ist, die die virtuelle Grenze überwunden hat, obwohl es dort von Entwicklungshelfern ja nur so wimmelt. Genau das macht die Idee des ewe so wichtig. Partnerschaft auf Augenhöhe, die sich viele NGOs in der Entwicklungszusammenarbeit attestieren, funktioniert nicht, indem man sie in Leitbilder und Programme schreibt, sondern über enge Kontakte, langsam aufgebautes Vertrauen und mit der Zeit wachsende Freundschaften. Mit dem Konzept, Freiwillige in Gastfamilien und Gemeinden zu integrieren, macht es der ewe seinen Freiwilligen verhältnismäßig leicht, die virtuelle Grenze zu durchbrechen: Auch wenn ich am Ende meines Jahrs auf der Straße nach wie vor mit Muzungu angesprochen und nach Geld gefragt wurde, war ich für meine Familie und meine Freunde nicht mehr die reiche Weiße, sondern ihre Tochter, Schwester, Freundin Lea.

Egal, ob man schon einmal im Kongo oder anderswo in Afrika war oder nicht, Congo Calling wirft Fragen beim Zuschauer auf und gibt Denkanstöße zur kritischen Hinterfragung von Entwicklungszusammenarbeit und zur Rolle von Europäern im Ausland. Gerade für Leser von ewe-aktuell, die alle irgendeinen Bezug zur Thematik haben, ist der Film daher sehr sehenswert. Dass er keinerlei Bewertung der Situation vor Ort vornimmt und für die Fragen, die er aufwirft, keine Lösungen präsentiert, finde ich persönlich sehr ansprechend, sind doch auch wir Europäer mit unseren Beurteilungen häufig zu voreilig.

https://www.zdf.de/filme/das-kleine-fernsehspiel/congo-calling-100.html

Leider nur noch bis 9. Februar verfügbar!

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